Es ist der 12. November in Hannover, ein frischer Abend, der diesen besonderen Mix aus Kälte, Erwartung und purem Rock’n’Roll in der Luft trägt. Vor dem Capitol herrscht eine angenehm lockere Atmosphäre: Man trifft bekannte Gesichter, tauscht Vorfreude aus, erzählt alte Konzertgeschichten. Genau das richtige Warm-up, bevor es ernst wird.
Als ich hineingehe und mich kurz orientiere, bemerke ich: Die Show läuft bereits.
XSKULL8 – Modern Metal aus dem Nebel
Die Slowenen von XSKULL8 stehen schon auf der Bühne – mitten im Set. Obwohl ich mich pünktlich fühle, verpasse ich den Einstieg. Sehr schade, denn was ich sehe, ist starkes Material.

Rotes Nebellicht, dichter Dunst und die Band treibt gerade kraftvoll durch Shackles of Doubt. Sänger Rokk steht nah am Publikum – präsent, energiegeladen, als wolle er die Halle im Alleingang wachrütteln.
Die Gitarren- und Bassfraktion wirbelt mit hörbarer Spielfreude durch den Raum. Der Sound ist modern, druckvoll, ausgewogen. Spätestens bei Alive zieht die Band die Menge endgültig zu sich heran; man spürt, wie ein rasender Metal-Train durchs Capitol schiebt.
Auch wenn ich den Anfang verpasse – XSKULL8 holen mich sofort ab. Eine Vorband, die ich gerne komplett gesehen hätte.
Ugly Kid Joe – Wenn ein Support-Act die Bühne übernimmt

Um 19:50 Uhr betreten Ugly Kid Joe die Bühne. Die Hard-Rocker stammen aus Isla Vista, Kalifornien. Ihr Sound verbindet Rock mit einer Portion funky Grunge. Entstanden ist die Band in den frühen 90ern an der kalifornischen Küste – einer Zeit, in der Skater, Studenten und Rockfans dieselben Clubs teilen.

Plötzlich wirkt die Halle doppelt so groß. Frontmann Whitfield Crane steht am Mikro wie ein alter Freund, der vorbeischaut, um kurz „die Bude zu zerlegen“. Keine Attitüde, kein Schnickschnack. Nur ein Lächeln, das sagt: „Wir haben richtig Bock.“
Der Track V.I.P. startet ohne Vorwarnung: Gitarren schreien los, der Bass rollt warm durch den Raum, Whitfields Stimme sitzt perfekt in dieser rau-warmen Mischung, die live einfach funktioniert. Die Energie schießt sofort nach oben.

Mit Neighbor (vom Album America’s Least Wanted“ aus dem Jahr 1992) geht es weiter – ein Song, der live diesen großartigen Mix aus Lässigkeit und Frechheit entfaltet. Unerwartet wird unser Fotograf Sven auf die Bühne geholt und schießt von dort aus ein imposantes Shot in die Menge. Ein kurzer Moment, der zeigt, wie nahbar diese Band bleibt.

Dann wechselt die Stimmung: Whitfield tritt ruhig ans Mikro und sagt: „This song is for everybody.“
Cats in the Cradle setzt ein – leise, eindringlich, wie ein süßer Stich direkt ins Herz. Die Halle wird warm und ein wenig nostalgisch.
Doch Ugly Kid Joe wären nicht sie selbst, wenn sie uns dort lassen würden:
Ace of Spades holt alle wieder aus der Trance. Härter gespielt als erwartet, voll Adrenalin. Die Halle feiert hart und die Zeit vergeht im Eiltempo.

Als die Kalifornier um 20:40 Uhr abtreten, bleibt ein Gefühl zurück, das man selten erlebt: Diese Band entzündet. Energie, Humor, Spielfreude – alles echt, alles nah.
Life of Agony – „30 Years of Ugly“ Tour 2025
Jetzt betritt der Headliner die Bühne. Life of Agony, 1989 gegründet in Brooklyn, New York, entspringen der New Yorker Hardcore-Szene, kombiniert mit Metal- und Alternative-Einflüssen.Der Name „Life of Agony“ entsteht durch einen Traum, den Bassist Alan Robert hat, in dem er Zeitungsüberschriften mit der Phrase „Life of Agony“ auf einem Badezimmerboden sieht. Als er der Band vorschlägt, diesen Namen zu übernehmen, stimmt diese zu. Vorher heißen sie für eine Woche „Capital Punishment“.

Frontmann Keith Caputo, geboren 1973 in Brooklyn, gehört zu den prägendsten Stimmen der Alternative-Metal-Ära – ein Künstler, der seine Musik nicht einfach singt, sondern lebt. Seine Körpersprache ist seit jeher ikonisch: federnd, entrückt, immer im Rhythmus der eigenen Geschichte.
Einstieg mit Seasons
Um 21:03 Uhr stürmt Gitarrist Joey Z. die Bühne und brüllt ein lautstarkes „Hannover!“ – die Menge antwortet enthusiastisch. Keith folgt, verliert sich sofort im Flow seiner Bewegungen.

Mit Seasons (vom Kult-Album Ugly, 1995) eröffnen Life of Agony den Abend: melodisch, druckvoll, emotional – genau der Klang, für den diese Band steht.
Energie entfesselt – Lost at 22
Bei Lost at 22 springt Keith in den Pressgraben, klettert auf die Subwoofer, bewegt sich und hält keine Sekunde still. Die Musik scheint durch ihn hindurchzuströmen. Live wirkt der Song noch direkter: das Gefühl, an einem Punkt festzustecken, den man eigentlich längst hinter sich lassen will.

Mit Other Side of the River entdeckt Keith den Mikroständer als kreative Verlängerung eines Körperteils – teils artistisch, teils experimentell, definitiv einzigartig.
Gänsehautmoment – Let’s Pretend
Einer der Höhepunkte: Let’s Pretend. Schon die ersten Akkorde legen sich wie ein Schleier über die Halle. Und dann singt das Publikum geschlossen mit – ergriffen, aber voller Seele. Life of Agony balancieren Schmerz und Wucht wie kaum eine andere Band. Live brennt sich dieser Song doppelt ein.

Dann folgt Ugly – 30 Jahre alt und doch so frisch gespielt, als wäre er gestern entstanden. Die Halle geht sofort mit, Keith dirigiert, das Publikum feuert zurück. Pure Energie, pure Verbindung.
Bei Drained taucht Keith erneut in den Graben ab. Er steht nur eine Armlänge vom Publikum entfernt, wirkt fast verletzlich. Genau passend zu diesem Lied über Leerwerden, Ausgebranntsein und jene Momente, in denen die eigenen Zweifel lauter werden als alles andere. Live ist das beinahe körperlich spürbar.

Mit Damned If I Do treibt Drummerin Veronica Bellino die Menge weiter vor sich her – präzise, druckvoll. Wir erleben den Anflug eines zarten Pits und die Energie schwappt bis in die letzten Reihen.

Nach einer kurzen Umbaupause richtet Keith im Turbomodus sein Synth-Setup her – jeder Handgriff sitzt. Dann folgt der Simple-Minds-Klassiker Don’t You (Forget About Me) – getragen, melancholisch und doch kraftvoll. Die gesamte Halle singt. Einer dieser Momente, die einen daran erinnern, warum man auf Konzerte geht.

Finale mit Botschaft
Vor dem letzten Song gibt es noch eine kleine Botschaft an alle: „Spread your love, spread your kindness.“
Ein Satz ohne Pathos, ohne Show – und gerade deshalb so stark.
Underground vom Album River Runs Red aus dem Jahr 1993 wird zur gemeinsamen Hymne aller, die kämpfen, zweifeln, sich durchs Leben manövrieren. Die Menge singt mit, laut und ehrlich. Ein Gefühl kollektiver Verbindung erfüllt den Raum.
Ein Ende, das tief geht.
Fazit
Der Sound im Capitol ist wie immer etwas tricky, aber solide. Life of Agony liefern ein intensives, emotionales Konzert mit vielen starken Momenten.
Und trotzdem: Für mich sind Ugly Kid Joe die heimlichen Gewinner des Abends.
Frisch, spielfreudig, voller Energie – ein Überraschungsmoment, der bleibt.
Ein Abend, an dem man froh ist, dabei zu sein – selbst an einem grauen Dienstag im November.
Schall und Laut bedankt sich herzlich bei Hannover Concerts für die Akkreditierung und den freundlichen Empfang.
Text: H.J.
Foto: S.R.









