Ein grauer Sonntag mit klarer Mission
Es ist Sonntagabend und der Schwarze Bär zeigt sich von seiner grausten Seite.
Der Weg führt mich ins Capitol – die Location in Hannover, in der ich schon so viele Bands erlebt habe. Heute sind hier Kissin’ Dynamite zu Gast und ich bin sehr gespannt, was mich erwartet.
Ich schlendere kurz am Merch-Stand vorbei. Ein Skull mit brennender Zigarre und Stirnband grinst mich an – als wolle er sagen: Heute wird ein guter Abend.
Seraina Telli eröffnet farbenfroh
Pünktlich um 19 Uhr wird es spannend. Seraina Telli aus der Schweiz betritt die Bühne, das Gesicht versteckt unter einer riesigen grünen Perücke. Minimalistisch aufgestellt – sie, ihre Gitarre und ein Schlagzeuger – entführt sie uns in eine Welt voller Schweizer Blütenzauber.

Musikalisch liefert sie „In-Your-Face-Rock“ mit einer Pop-Punk-Attitüde: eingängige Melodien, klare Vocals, starke Hooks. Als sie bei dem Song “Home” ihre Piano-Akustik-Seite auspackt, bringt sie mein hartes Metalherz zum Schmelzen.
Kleiner Teaser: Das bleibt heute nicht das einzige Mal.

Musikalisch holt sie mich komplett ab, auch wenn mein Kopf vergeblich versucht, die Verbindung zum restlichen Abend zu finden. Ein cooler Opener, den ich so nicht erwartet habe.

Brainstorm heizen richtig ein
Mit Brainstorm aus Gerstetten geht es in die erwartete Richtung: Power Metal – kraftvoll, düster, melodisch – mit doppelten Gitarrenriffs, hymnischen Refrains und wuchtigem Gesang. Die Band schafft es mühelos, die Crowd hinter sich zu bringen. Es ist dieses typische „Wir schalten jetzt mal einen Gang höher“-Ding, das mir die Sonntagsmüdigkeit aus den Knochen treibt.

Sänger Andy Franck zeigt mit viel Leichtigkeit – trotz seines soliden Körperbaus – und hohen Vibratos, wohin der Abend läuft. Starke Gitarrenarbeit und kleine Spielchen mit der Menge lassen den Funken sofort überspringen.

Jetzt ist die Betriebstemperatur erreicht, und jeder hier hat Bock auf das, wofür wir gekommen sind: Kissin’ Dynamite.

Back with a Bang – Showtime!
Und dann ist es endlich soweit. Punkt 21 Uhr – der Sprengstoff betritt die Bühne.
„Back with a Bang“ heißt nicht nur die Tour, sondern auch der Opener in einen legendären Abend.
Kraftvolle Gitarrenriffs, eingängige Hooks mit Stadionrock-Charakter und melodische Vocals, die auch in hohen Lagen sicher klingen.
Hair Metal, Sleaze Rock – oder wie immer man es nennen will – erinnert an den klassischen 80er-Jahre-Sound à la Mötley Crüe oder Def Leppard.

Rock’n’Roll liegt in der Luft
Mit DNA bringt Sänger Hannes die Halle endgültig zum Kochen. Die ganze Crowd springt im Takt zu ihrem Selbstbekenntnis-Song. Rock’n’Roll liegt nicht nur in der DNA der Schwaben – er liegt auch in der Luft des Capitols.
Es ist mittlerweile halb zehn, als die Band einen meiner Lieblingssongs spielt: My Monster vom Album Not The End of the Road. Der Song handelt von den inneren Dämonen, von der dunklen Seite in uns allen. Dieses Monster, das wir im Alltag mit uns rumschleppen, hat heute Sendepause. Alle singen mit, ohne groß über den Text nachzudenken. So einfach kann es sein, über den eigenen Schatten zu springen ;-).

Ein König und seine Crowd
Auch die Bühnenshow kann sich sehen lassen. Bei I’m with the King nimmt Hannes als „König“ auf seinem Thron Platz.Mit Umhang und Zepter erinnert er an den King of Rock’n’Roll. Die Halle bebt, und ich frage mich ernsthaft: Kann die Stimmung auf diesem Level bleiben?
Als hätte Hannes meine Gedanken gehört, sagt er mit einem breiten Grinsen:
„Das kannst du dir nicht ausdenken. Du kommst nach Hannover und denkst: Sonntagabend, morgen wieder Arbeit – was soll schon passieren? Und dann haut ihr mal locker alles auf der bisherigen Tour dagewesene weg!“
Tief beeindruckt fragt er: „Hannover, habt ihr Bock, die Party so richtig anzuzünden?“
Und was soll ich sagen – Funkenflug in alle Richtungen!
Mit Flying Colors bringt die Band den „Hands-up-Song“ des Abends.
Die Stimmung eskaliert komplett, und der Eindruck bleibt: Hannover kann feiern – und wie!

Gänsehaut pur bei „Heart of Stone“
Nach diesem Siedepunkt tut eine kleine Pause gut.
Und so geschieht es: Die Band stimmt Heart of Stone vom Album Ecstasy (2018) an.
Mit Piano und Akustikgitarre bringt sie mein Metalherz zum zweiten Mal an diesem Abend zum Schmelzen.
Die Ballade über Verletzlichkeit, Verlust und emotionale Abhärtung zeigt, dass viele ein „Herz aus Stein“ entwickeln, weil sie zu oft verletzt wurden – nicht, weil sie kalt sind. Über tausend Handylichter leuchten, tauchen das Capitol in ein warmes Licht und schaffen den emotionalsten Moment des Abends.

Devil is a Woman – und kein Ende in Sicht
Nach der kurzen Verschnaufpause geht es mit Devil is a Woman weiter.
Hannes steht auf dem Riser über der Band und singt, als wolle er sagen:
„Ich weiß, sie wird mich zerstören – aber ich kann ihr nicht widerstehen.“
Während er die Menge wieder fesselt, frage ich mich, in welcher Lebenslage wohl dieser Song entstanden ist ;-).
Zum Nachdenken bleibt keine Zeit – jetzt folgt ein Banger nach dem anderen.

Ein Abend, der bleibt
Es ist mittlerweile halb elf, als Hannes – passend zu Not the End of the Road – verkündet, dass er Ende 2026 als Sänger aussteigen wird. Für die Fans ist das längst kein Geheimnis mehr, und niemand reagiert überrascht. Hannes bleibt der Band erhalten – als Songwriter, Ideengeber und kreativer Motor.
Mit Raise Your Glass, dem letzten Song der drei Zugaben, verabschieden sich Kissin’ Dynamite von einem begeisterten Publikum. Ein denkwürdiger Abend geht zu Ende – mit einem breiten Grinsen im Gesicht und Rock’n’Roll im Blut.
Noch einmal gehe ich am Merch-Stand vorbei. Der Skull mit der brennenden Zigarre lächelt mich wieder an – und ich kann nicht anders, als zurück zulächeln.

Fazit
Was bleibt zu sagen?
Ein tolles, energievolles Konzert – und der Sound war erfreulicherweise wirklich in Ordnung, was im Capitol nicht immer der Fall ist. Ich hätte mir die Vocals vielleicht einen Tick lauter gewünscht, aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Das aktuelle Album „Back With A Bang“, erschienen im Juli 2024, ist für mich eine klare Kaufempfehlung – und das perfekte Motto für diesen krassen, grauen Novemberabend im Capitol.

Schall und Laut bedankt sich herzlich bei Hannover Concerts für die Akkreditierung und den freundlichen Empfang.
Text: HJ
Fotos: AG
Fotoedit: JJ









